TECHNIK
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Fachbeitrag
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FASSADE 1/2017
Phototrophe Mikroorganismen
an der Fassade
Von Prof. Timo Schmidt, Mai-Khanh Nguyen und Dr. Michael Lakatos
Der zweiteilige Fachbeitrag widmet sich dem hochaktuellen Thema „Begrünte Fassaden“.
Im ersten Teil werden phototrophe Mikroorganismen an der Fassade näher beleuchtet.
In Teil 2 – dieser erscheint in der nächsten Ausgabe der FASSADE – stehen in Fassaden
integrierte Bioreaktorsysteme im Fokus.
Die vermehrte Flächenkonkurrenz, die zu-
nehmende Nutzung von nachwachsenden
Rohstoffen und die Verknappung von fossi-
len Brennstoffen erzwingen ein Umdenken
bzgl. bisheriger Energie-, Agrar- und Stadt-
planungskonzepte. Die Nutzung anthro
pogen transformierter oder neu geschaf-
fener Flächen wie beispielsweise Fassaden
und die intelligente Vernetzung und loka-
le Rückführung von Stoffflüssen (Energie,
Ressourcen, Abfälle) mit Hilfe der vorhan-
denen Infrastruktur wird zukünftig eine im-
mer größere Rolle spielen und die Fassa-
denplanung verstärkt beeinflussen. Einige
Städte schreiben schon heute einen Begrü-
nungsanteil bei Neubauten vor und unter-
stützen Vorhaben mit Leitfäden, Fördergel-
dern oder einer Erhöhung der zulässigen
Bruttogeschossfläche [1]. Doch was zu-
nächst nur als vertikale Gärten gedacht ist,
wird schnell zu einer komplexen Gebäu-
dehaut, die neben ästhetischen eben auch
energetische und ökologische Aufgaben
übernehmen soll.
Begrünte Fassaden sollen Energie und Res-
sourcen erzeugen, natürliche Pufferspeicher
bilden, adiabat kühlen, Schall absorbieren,
Schadstoffe aufnehmen und so das Mikro-
und Mesoklima in Städten nachhaltig ver-
bessern. Vor der Vielzahl an Erwartungen
stellt sich allerdings die Frage: Was können
begrünte Fassaden wirklich leisten, welche
Organismen eignen sich am besten um die-
se Aufgabe zu erfüllen und wie kön-
nen diese an der Fassade angebracht
und versorgt werden? Die Auswahl
an Gewächsen für derart exponier-
te Habitate ist überschaubar. Der
Wunsch nach immergrünen Pflanzen
schränkt das „Sortiment“ zusätzlich
ein. Bei Hochbauten werden schnell
hohe Windgeschwindigkeiten und
Temperaturunterschiede erreicht, die
das Halten und Überleben von Pflan-
zen an Außenfassaden erschweren.
Was am Ende übrigbleibt ist weder
die erhoffte Biodiversität noch wer-
den die oben formulierten Anforde-
rungen erfüllt. Um hier entgegenzu-
wirken werden Pflanzen außerhalb
ihrer natürlichen Habitate eingesetzt.
Hohe Wartungszyklen sind die Fol-
ge. Sie bestimmen derzeit die hohen
Preise für begrünte Fassaden.
Höhere und Niedere Pflanzen
Bei den am häufigsten eingesetz-
ten Pflanzenarten bei Fassadenbe-
grünungen handelt es sich um soge-
nannte Höhere Pflanzen (Gefäß- oder Sa-
menpflanzen). Der Einsatz von Niederen
Pflanzen, sogenannten Kryptogamen (z. B.
Moose, Flechten, Algen, Cyanobakterien)
und ihr Potenzial für Fassaden sind demge-
genüber nahezu unerforscht.
Das wesentliche Erkennungsmerkmal ei-
ner Höheren Pflanze ist die morphologische
Grundeinteilung der Pflanze in Blatt, Spross
undWurzel. Die Niederen Pflanzen besitzen
hingegen einen geringeren Organisations-
grad. Niedere Pflanzen
weisen gegenüber Hö-
heren Pflanzen einen
weniger störanfälligen
Wasserhaushalt
auf,
sie sind wechselfeucht
(poikilohyd) und kön-
nen starke Schwan-
kungen der Wasserver-
fügbarkeit bis hin zu
Austrocknung
ertra-
gen. Damit sind sie für
City Tree
Erwartungen an Fassadenbegrünung
Green City Solutions GmbH