TECHNIK
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Fachbeitrag
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FASSADE 1/2017
wechselnde Umgebungsparameter an der
Fassade toleranter. Vorteile sind die Chloro-
phyllstabilität trotz austrocknen (Ästhetik),
die Fähigkeit zur Schwermetallakkumu-
lation (Feinstaubbindung) und die erhöh-
te Wasseraufnahme und die adiabate Küh-
lung durch Verdunstungskälte (z. B. Evapo-
rationskälte).
Moose
Es gibt bereits Hersteller, die mit Niede-
ren Pflanzen an Fassaden arbeiten. Hier-
bei kommen hauptsächlich Moose zum
Einsatz, welche sich für eine vertikale Ap-
plikation besonders eignen, da sie selbst
in ihrem Höhenwachstum begrenzt sind
und sich dadurch weder die Eigenlast noch
Windlasten wesentlich verändern.
Auf dem Boden sind sie den Höheren
Pflanzen unterlegen, weshalb sie sich an
extremen Umgebungen adaptiert und diese
besiedelt haben. Ihre natürlichen Habita-
te bilden Bäume, Felsen und Mauern unter
Umgebungsbedingungen wie wir sie auch
an der Fassade vorfinden. Auf Extremkli-
mata an Fassaden wie hohe Temperatur und
Trockenheit reagieren Niedere Pflanzen
nicht etwa mit Absterben (wie die meisten
Höheren Pflanzen), sondern mit einer ex-
tremen Reduzierung der Stoffwechselak-
tivität (Kryptobiose). Je nach Organismus
ist bei Niederen Pflanzen die Produktivität
und damit das Wachstum auch über eine
größere Temperaturbandbreite und in Ver-
bindung mit einer entsprechenden Wasser-
und Lichtversorgung noch effektiv und da-
mit hinsichtlich der Energie- und Ressour-
cenerzeugung von Bedeutung. Mooswände
eignen sich hervorragend als „natürliche
Luftfilter“, da das Moos die Nährstoffe aus
Luft und Regen über die gesamte Oberflä-
che aufnimmt. Dadurch wird beispielsweise
Feinstaub gebunden [3,4]. Darüber hinaus
wirkt das Moosbett als Lärmschutz gegen-
über Straßenverkehr. Ein Nachteil ist der
hohe Wasserbedarf, wenn man ein tempo-
räres Austrocknen und die damit verbunde-
ne funktionelle Veränderung nicht in Kauf
nehmen will. Alleine eine kürzlich entwi-
ckelte freistehende 4 m breite und 3 m ho-
he Mooswand (City Tree) die momentan in
mehreren Städten getestet wird (z. B. Os-
lo, Hong Kong, Paris, Berlin, Dresden) ver-
fügt über einen 1000 Liter Tank. Die 1682
einzelnen Töpfe, die selbstentwickelte In-
ternet-der-Dinge (IoT) –Technik, das aus-
geklügelte Bewässerungssystem und die 72
integrierten Sensoren erfordern jedoch ent-
sprechende Wartungszyklen, was bei einer
Integration in die Fassade zu beachten wä-
re.
Phototrophe Mikroorganismen
Auf der Suche nach Alternativen, um den
hohen Anforderungen gerecht zu werden,
entleihen sich Architekten bioverfahrens-
technische Laboransätze mit Algen und
funktionieren Hauswände zu Bioreaktoren
um. Die Nutzung grüner Mikroorganismen
stellen jedoch zahlreiche Herausforderun-
gen an den Architekten/Fassadenplaner.
Ihr Einsatz an der Fassade bedarf eines
speziellen Wissens. Was sind phototrophe
Mikroorganismen? Wo liegen die Chancen
und Limitationen dieser Konzepte und wie
könnten zukünftigeVisionen aussehen?
Mikroorganismen, insbesondere Mikroal-
gen nehmen einen zunehmend wachsen-
den Stellenwert in der heutigen Industrie
ein. Mikroalgen sind ein- bis mehrzelli-
ge und Photosynthese-betreibende Or-
ganismen, die das Photosynthesepigment
Chlorophyll a enthalten und weder Wur-
zeln, Stämme/Sprossen noch Blätter be-
sitzen. Demnach gehören zu den Mikroal-
gen sowohl Algen als auch Cyanobakterien
(Blaualgen). Mikroalgen fixieren mithilfe
der Photosynthese CO
2
und können neben
O
2
Produkte wie Proteine, Lipide und Koh-
lenhydrate herstellen, die beispielsweise in
der Pharmazie-, Kosmetik-, Sanitär- oder
Lebensmittelbranche Anwendung finden
[5]. Weiterhin kann die Biomasse aus Mik-
roalgen selbst als Futter- und Düngemittel
dienen oder in Biotreibstoff für den Ener-
giesektor umgewandelt werden. Letzteres
bildet die Vision der Planer: Mittels Bio-
massenproduktion wird Energie für den
Gebäudebetrieb generiert, während zeit-
gleich anfallendes CO
2
von den Mikroor-
ganismen verstoffwechselt und damit zu-
mindest temporär fixiert wird. Die Visi-
on hat allerdings auch einen Haken. Die
Prozesskette von Beimpfung, Kultivie-
rung (Durchmischung & Nährstoffzufuhr),
Trocknung, Ernte und Reinigung/Wartung
erfordern einen nicht unerheblichen Ener-
gieeintrag, um das System zu betreiben.
Insbesondere die in Flüssigkeit betriebene
Kultivierung verbraucht 20-40% der Pro-
zessenergie für das Durchmischen der Mi-
kroalgen und das spätere Separieren der
Biomasse vom Wasser [6].
Hier stellt sich die berechtigte Frage, ob
und unter welchen Voraussetzungen eine
positive Energiebilanz zu schaffen ist? Die
Problematik der hohen Energie- und Res-
sourcenkosten ist bei Bioverfahrenstechni-
kern seit langem bekannt und für Großan-
lagen wissenschaftlich weitreichend ana-
lysiert [6]. Dieser Problematik müssen wir
Pflanzenwahl und Architektur, Stoffwechsel und Produkte
Hochschule Augsburg (5)