Previous Page  25 / 52 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 25 / 52 Next Page
Page Background

TECHNIK

|

Fachbeitrag

25

FASSADE 1/2017

wechselnde Umgebungsparameter an der

Fassade toleranter. Vorteile sind die Chloro-

phyllstabilität trotz austrocknen (Ästhetik),

die Fähigkeit zur Schwermetallakkumu-

lation (Feinstaubbindung) und die erhöh-

te Wasseraufnahme und die adiabate Küh-

lung durch Verdunstungskälte (z. B. Evapo-

rationskälte).

Moose

Es gibt bereits Hersteller, die mit Niede-

ren Pflanzen an Fassaden arbeiten. Hier-

bei kommen hauptsächlich Moose zum

Einsatz, welche sich für eine vertikale Ap-

plikation besonders eignen, da sie selbst

in ihrem Höhenwachstum begrenzt sind

und sich dadurch weder die Eigenlast noch

Windlasten wesentlich verändern.

Auf dem Boden sind sie den Höheren

Pflanzen unterlegen, weshalb sie sich an

extremen Umgebungen adaptiert und diese

besiedelt haben. Ihre natürlichen Habita-

te bilden Bäume, Felsen und Mauern unter

Umgebungsbedingungen wie wir sie auch

an der Fassade vorfinden. Auf Extremkli-

mata an Fassaden wie hohe Temperatur und

Trockenheit reagieren Niedere Pflanzen

nicht etwa mit Absterben (wie die meisten

Höheren Pflanzen), sondern mit einer ex-

tremen Reduzierung der Stoffwechselak-

tivität (Kryptobiose). Je nach Organismus

ist bei Niederen Pflanzen die Produktivität

und damit das Wachstum auch über eine

größere Temperaturbandbreite und in Ver-

bindung mit einer entsprechenden Wasser-

und Lichtversorgung noch effektiv und da-

mit hinsichtlich der Energie- und Ressour-

cenerzeugung von Bedeutung. Mooswände

eignen sich hervorragend als „natürliche

Luftfilter“, da das Moos die Nährstoffe aus

Luft und Regen über die gesamte Oberflä-

che aufnimmt. Dadurch wird beispielsweise

Feinstaub gebunden [3,4]. Darüber hinaus

wirkt das Moosbett als Lärmschutz gegen-

über Straßenverkehr. Ein Nachteil ist der

hohe Wasserbedarf, wenn man ein tempo-

räres Austrocknen und die damit verbunde-

ne funktionelle Veränderung nicht in Kauf

nehmen will. Alleine eine kürzlich entwi-

ckelte freistehende 4 m breite und 3 m ho-

he Mooswand (City Tree) die momentan in

mehreren Städten getestet wird (z. B. Os-

lo, Hong Kong, Paris, Berlin, Dresden) ver-

fügt über einen 1000 Liter Tank. Die 1682

einzelnen Töpfe, die selbstentwickelte In-

ternet-der-Dinge (IoT) –Technik, das aus-

geklügelte Bewässerungssystem und die 72

integrierten Sensoren erfordern jedoch ent-

sprechende Wartungszyklen, was bei einer

Integration in die Fassade zu beachten wä-

re.

Phototrophe Mikroorganismen

Auf der Suche nach Alternativen, um den

hohen Anforderungen gerecht zu werden,

entleihen sich Architekten bioverfahrens-

technische Laboransätze mit Algen und

funktionieren Hauswände zu Bioreaktoren

um. Die Nutzung grüner Mikroorganismen

stellen jedoch zahlreiche Herausforderun-

gen an den Architekten/Fassadenplaner.

Ihr Einsatz an der Fassade bedarf eines

speziellen Wissens. Was sind phototrophe

Mikroorganismen? Wo liegen die Chancen

und Limitationen dieser Konzepte und wie

könnten zukünftigeVisionen aussehen?

Mikroorganismen, insbesondere Mikroal-

gen nehmen einen zunehmend wachsen-

den Stellenwert in der heutigen Industrie

ein. Mikroalgen sind ein- bis mehrzelli-

ge und Photosynthese-betreibende Or-

ganismen, die das Photosynthesepigment

Chlorophyll a enthalten und weder Wur-

zeln, Stämme/Sprossen noch Blätter be-

sitzen. Demnach gehören zu den Mikroal-

gen sowohl Algen als auch Cyanobakterien

(Blaualgen). Mikroalgen fixieren mithilfe

der Photosynthese CO

2

und können neben

O

2

Produkte wie Proteine, Lipide und Koh-

lenhydrate herstellen, die beispielsweise in

der Pharmazie-, Kosmetik-, Sanitär- oder

Lebensmittelbranche Anwendung finden

[5]. Weiterhin kann die Biomasse aus Mik-

roalgen selbst als Futter- und Düngemittel

dienen oder in Biotreibstoff für den Ener-

giesektor umgewandelt werden. Letzteres

bildet die Vision der Planer: Mittels Bio-

massenproduktion wird Energie für den

Gebäudebetrieb generiert, während zeit-

gleich anfallendes CO

2

von den Mikroor-

ganismen verstoffwechselt und damit zu-

mindest temporär fixiert wird. Die Visi-

on hat allerdings auch einen Haken. Die

Prozesskette von Beimpfung, Kultivie-

rung (Durchmischung & Nährstoffzufuhr),

Trocknung, Ernte und Reinigung/Wartung

erfordern einen nicht unerheblichen Ener-

gieeintrag, um das System zu betreiben.

Insbesondere die in Flüssigkeit betriebene

Kultivierung verbraucht 20-40% der Pro-

zessenergie für das Durchmischen der Mi-

kroalgen und das spätere Separieren der

Biomasse vom Wasser [6].

Hier stellt sich die berechtigte Frage, ob

und unter welchen Voraussetzungen eine

positive Energiebilanz zu schaffen ist? Die

Problematik der hohen Energie- und Res-

sourcenkosten ist bei Bioverfahrenstechni-

kern seit langem bekannt und für Großan-

lagen wissenschaftlich weitreichend ana-

lysiert [6]. Dieser Problematik müssen wir

Pflanzenwahl und Architektur, Stoffwechsel und Produkte

Hochschule Augsburg (5)