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FASSADE 4/2018
TECHNIK
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Fassaden der Zukunft
2030
2050
2020
Durch den anhaltenden Trend nach Trans-
parenz ist der Einsatz von Glas aus dem
Bauwesen nicht mehr wegzudenken. Die-
ses zeigt jedoch ein sprödes Materialversa-
gen, weshalb bei sicherheitsrelevanten (z.B.
absturzsichernder, begeh- oder betretbarer
Verglasung, Überkopfverglasung oder kon-
struktiven) Bauelementen sog. Verbundsi-
cherheitsglas (VSG) gefordert wird. Nach EN
ISO 12543-2 (2011) besteht VSG aus min-
destens zwei Glasscheiben, die mit einer po-
lymeren Zwischenschicht zusammenlami-
niert werden. Diese bindet bei Glasbruch die
Splitter an sich und stellt ein Resttragverhal-
ten für eine bestimmte Dauer sicher.
Neben den sicherheitsrelevanten Aspek-
ten beim Nachbruchverhalten, kann sich
der Ansatz der Zwischenschicht durch die
Kopplung der Gläser auch im intakten Glas-
zustand positiv auf die Glasbemessung aus-
wirken. Je nach Größe der Zwischenschicht-
steifigkeit liegt ein Teilverbund vor, welcher
zwischen den beiden in der DIN 18008 de-
finierten Grenzfällen „voller Verbund“ und
„keinVerbund“ liegt (Abbildung 2 a). Bereits
Verbundsicherheitsglas
Die Rolle der polymeren
Zwischenschicht
relativ geringe Zwischenschichtsteifigkei-
ten können zu einer erheblichen Reduktion
der maximalen Spannungen im Glas führen
(Kuntsche et al. 2018).
Sowohl im gebrochenen als auch im intak-
ten Zustand eines VSG spielen die mecha-
nischen Eigenschaften der Zwischenschicht
somit eine erhebliche Rolle. Als Zwischen-
schichtmaterialien können in Deutschland
Polyvinylbutyral (PVB) – basierte Folien mit
definierten Anforderungen an die Reißfes-
tigkeit und die Bruchdehnung, oder ande-
re Produkte, für die eine dementsprechen-
de allgemeine bauaufsichtliche Zulassung
(abZ) vorliegt, verwendet werden. Dazu ge-
hören Ionoplaste (SentryGlas), Ethylen-Vi-
nylacetat (EVA) und Gießharze. PVB wird
dabei den amorphen Thermoplasten, Sen-
tryGlas den teilkristallinen Thermoplasten,
EVA den Elastomeren und Gießharz den
Elastomeren oder Duroplasten zugeordnet.
Das temperaturabhängige Steifigkeitsverhal-
ten dieser unterschiedlichen Kunststoffklas-
sen ist in Abbildung 2 a) exemplarisch dar-
gestellt. Die Glasübergangstemperatur stellt
hier eine wichtige Kenngröße dar. Sie kenn-
zeichnet den Temperaturbereich, in dem die
Steifigkeit erheblich abfällt und trennt den
energieelastischen Bereich, indem sich der
Kunststoff glasartig verhält, vom entropie
elastischen, gummiartigen Bereich. Bei PVB-
basierten Folien beispielsweise, variiert die
Glasübergangstemperatur je nach Weichma-
chergehalt zwischen ~15°C (Akustikanwen-
dung) und ~40°C (Strukturelle Anwendung).
Zusätzlich verhalten sich Kunststoffe vis-
koelastisch. Wird schlagartig eine konstan-
te Spannung aufgebracht, so tritt ein Teil der
Deformation sofort auf, während ein ande-
rer Teil sich erst im Laufe der Zeit, also durch
Kriechen, ausbildet. Wird hingegen eine
konstante Verzerrung aufgebracht, so rela-
xiert die dadurch entstandene Spannung so
lange bis sie sich einem Grenzwert annähert
(Abbildung 2 b).
Bei kleinen Spannungen bzw. Verzerrungen
(Linearitätsgrenze in Abbildung 2 c) verhal-
ten sich Spannung und Verzerrung zu je-
dem Zeitpunkt proportional zueinander:
Bei Verdopplung der aufgebrachten Verzer-
rung, verdoppelt sich auch die abklingende
Spannungsfunktion, wodurch die Relaxati-
onsfunktion unverändert bleibt. Hier kann
das Materialverhalten mit der Theorie der li-
nearen Viskoelastizität beschrieben werden.
Im Falle von intaktem VSG wird i. d. R. von
linear viskoelastischem Materialverhalten
ausgegangen. Spätestens nach dem Glas-
bruch sind jedoch große Spannungen bzw.
Verzerrungen in der Zwischenschicht vor-
handen (Abbildung 1 b), sodass hier nicht-
lineares viskoelastisches Materialverhalten
zu berücksichtigen ist. Zusätzlich sind die
Abbildung: Tragwirkung von VSG unter Biegebeanspruchung
(1a): beide Gläser intakt (1b): beide Gläser gebrochen
Abbildung: Mechanisches Verhalten von Kunststoffen
(2a): Steifigkeit in Abhängigkeit der Temperatur
(2b): Relaxationsverhalten bei unterschiedlich hohen Verzerrungen (2c): Spannung-Verzerrungs-Verhalten zum Zeitpunkt t1
(1a)
(1b)
(2a)
(2b)
(2c)
Quellen (7):
©TU Darmstadt/Miriam Schuster