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GLASFassaden
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FASSADE 5/2017
Gussglas erobert als Ornament- und Designglas zunehmend seinen Platz in der Architektur
zurück. Das blickdichte, aber transluzent durchscheinende Glas eröffnet gerade an der
Fassade Wege zu charakterstarken und unverwechselbaren Gebäudeansichten und
Lichtwirkungen – als Isolierglas in Pfosten-Riegel-Konstruktionen ebenso wie als ESG/VSG für
Brüstungen oder geschosshohe Verglasungen.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie,
dass der seit den 1960er Jahren zu beobach-
tende rasante Fortschritt in der Floatglas-
herstellung – und damit verbunden auch
der Beschichtungstechnologie – hochklare
und farbneutraleVerglasungen hervorbrach-
te, aber gleichzeitig die spezifischen opti-
schen und architektonischen Eigenschaf-
ten des Glases in den Hintergrund traten.
Denn Glas wurde lange Zeit optisch betont
transparent inszeniert, sodass weitgehend
entmaterialisierte und auf eine bestimmte
Art sogar „unsichtbare“ Fassaden entstan-
den. Dabei kann Glas ebenso ein Baustoff
mit markantem und höchst individuellem
Charakter sein. Eine Qualität, die bei Guss-
glas bewahrt und weiterentwickelt wurde.
Es zeigt ein unverwechselbares Changie-
ren zwischen Transluzenz und Transparenz
und ermöglicht ein spannendes Spiel mit
Struktur und Ebenheit. Originäre Gestal-
tungsvarianten des Gussglases, etwa Textur,
Gussglas in der Architektur:
die neue Lust am Gestalten
von Dipl.-Ing. Andreas Bittis
Durchsichtigkeit, Lichtstreuung und Licht
lenkung, können Gebäudehüllen Struktur
und Rhythmus verleihen und der Architek-
tur damit ein Gesicht geben.
Wiederentdeckung des
Gussglases für die Fassade
Im Interieurbereich wird dieses Potenzial
zum Beispiel für Badeinrichtungen, Raum-
teiler oder transluzente Glastrennwände
seit jeher genutzt. Relativ neu ist die Wie-
derentdeckung für die Fassade, wo Gussglas
sich seinen Platz als lichtarchitektonisches
Element zunehmend zurückerobert. Beein-
druckende internationale Beispiele dieser
neuen Lust am Gestalten schufen etwa Ri-
chard Rogers mit Lloyd’s of London, Wiel
Arets am Campus Hoogvliet in Rotterdam
oder Treusch architecture ZT mit dem Ars
Electronia Center Linz. Ganz aktuell insze-
niert Jean Nouvel das diffuse Licht sogar als
fünfte Fassade – beim spektakulären Dach
des Louvre Abu Dhabi. Gemeinsam ist die-
sen Projekten, dass die Ästhetik des Guss-
glases als gleichwertiger funktionaler Pa-
rameter neben den bauphysikalischen und
strahlungstechnischen Anforderungen auf-
gefasst wird. Denn die klassischen Eigen-
schaften wie Wärmeschutz, Sonnenschutz
oder Sicherheit lassen sich wie bei Floatglas
auch mit Gussglas erreichen.
Freie Gestaltung – geregelte
Anwendung
Bei der Herstellung von Gussglas wird die
flüssige Glasmasse zwischen zwei Wal-
zen zu Flachglas geformt. Eine oder beide
der Walzen erhalten dabei vorab genau be-
stimmte Formen und Strukturen, die auf das
Glas übertragen und dort als Muster ein-
geprägt werden. Gussglas ist deshalb nicht
klar durchsichtig, sondern abhängig von
den konkret gewählten Ornamenten und
Texturen mehr oder minder stark translu-
zent, also durchscheinend. Je nach Intensi-
tät der gewalzten Muster ergeben sich un-
terschiedliche Sichtschutzfaktoren, die ein
Mit Gussglasfassaden realisiert: Campus Hoogvliet in Rotterdam (Architekt: Wiel Arets Arch.)
Christoph Seelbach Fotografie /
©Saint-Gobain Glass (2)