TECHNIK
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Fachbeitrag
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FASSADE 2/2017
Fassadenintegrierte Bioreaktorsysteme
Von Prof. Timo Schmidt; Mai-Khanh Nguyen; Dr. Michael Lakatos
Spätestens seit der Umsetzung der Bioreaktorfassade am BIQ im Rahmen der IBA
in Hamburg ist die Applikation von Bioreaktoren an der Fassade in der Baubranche
bekannt. Weniger bekannt sind der biotechnologische Hintergrund, die Vielfalt an
Ausführungsmöglichkeiten (Systemvarianten) und potenzielle Synergismen mit dem
Gebäude. Teil 2 des Fachbeitrags zu „Begrünte Fassaden“ stellt diese vor.
Biotechnologischer Hintergrund
Die wachsende Nachfrage nach bioaktiven
Substanzen für die Lebensmittel-, Futter-
mittel-, kosmetische und pharmazeutische
Industrie verlangt nach innovativen, res-
sourcenschonenden Produktionsmethoden.
Mikroorganismen spielen hierbei eine im-
mer wichtigere Rolle, da mittels neuartiger
Bioreaktorsysteme und physiologisch adap-
tierter Organismen eine ökonomische Rea-
lisierbarkeit in greifbare Nähe rückt. Nimmt
man das Stichwort Ressourcenschonung
ernst, so muss bei einem „Upscaling“, also
einem Übergang in die industrielle Massen-
fertigung, der Flächenverbrauch und die da-
mit verbundene Flächenkonkurrenz mit der
Nahrungsmittelindustrie und anderen bio-
basierten Produkten beachtet werden. Die
meisten bioaktiven Substanzen werden heu-
te biotechnologisch mittels Bakterien hete-
rotroph, also unter Verbrauch von Kohlen-
hydraten und hohem Flächenbedarf herge-
stellt. Algen wachsen phototroph (mittels
Photosynthese) und können mit Hilfe von
Sonnenlicht und CO
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aus der Luft ihre Ziel-
produkte herstellen. Sie zeigen damit ei-
nen alternativen Herstellungsweg auf. Um
sich der verstärkten Flächenkonkurrenz zu
entziehen, sollten bereits anthropogen be-
setzte Flächen reaktiviert werden. Vertikalen
Flächen wie Fassaden kommt hierbei eine
besondere Bedeutung zu, da die Lichtaus-
beute in bestimmten Wellenlängenspektren
hier ausreichend oder sogar von Vorteil sein
kann.
Der Sprung vom Laborreaktor zur Industrie-
anlage birgt bei den meisten phototrophen
Konzepten noch einige Schwierigkeiten, die
es zu lösen gilt.
Systemvarianten
Unter Bioreaktoren versteht man im Allge-
meinen einen abgegrenzten Raum, in dem
eine Stoffumwandlung mit Hilfe eines bio-
logischen Katalysators erfolgt. Im Falle ei-
nes Algenbioreaktors werden die Zielpro-
dukte mit Hilfe von Sonnenlicht + CO
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und/oder mit Zugabe von Nährstoffen + O
2
(phototroph, mixotroph oder heterotroph)
in Biomasse umgewandelt. Um schädliche
Konzentrationsüberhöhungen durch unter-
schiedliche Substanzen zu vermeiden, ist ei-
ne gute Durchmischung Voraussetzung für
eine hohe Wachstumsrate.
Für die Fassadenintegration sind nur die
mit Licht arbeitenden phototrophen Sys-
teme von kommerzieller Bedeutung. Hier-
bei unterscheiden sich offene Systeme, so-
genannte Open Ponds, von geschlosse-
nen Systemen. Open Ponds sind natürliche
oder künstlich angelegte offene Gewässer
oder Becken, welche kostengünstig aufge-
baut sind. Sie werden schon im industriel-
len Maßstab betrieben, sind aber aufgrund
ihrer Kontaminationsgefahr und der da-
durch bedingten Co-Kultivierung etlicher
unerwünschter Organismen und Neben-
produkte für viele bioaktive Substanzen
nicht von Relevanz. Bei geschlossenen Sys-
temen unterscheidet man hauptsächlich in
Rohr-, Platten- und Folienreaktoren. Die-
se können wiederum in ihrem Design sehr
unterschiedlich aufgebaut sein. Flache Plat-
tenreaktoren (ca. 150 mm Breite) erscheinen
für die Fassaden besonders attraktiv, da sie
konstruktiv an Fassaden gut zu integrieren
sind und eine gute Lichtversorgung der Al-
gen sicherstellen. In Kombination mit der
sogenannten AirLift-Technologie, bei wel-
cher CO
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von unten eingeblasen wird, kann
somit entsprechender Reaktorgeometrie ein
Mischen der Kultur mit dem aufsteigenden
CO
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realisiert werden, was den Energiever-
brauch für die Durchmischung reduziert.
Alle Reaktortypen haben eine submerse
Abbildung 1: Design eines Fassadenbioreaktors als Sonnenschutzelement für das
Wissenschaftszentrum in Straubing
Folienreaktoren Plattenreaktoren
Rohrreaktoren
Open Pond
Geschlossene Systeme
Offene Systeme
- Rührkesselreaktoren
- Membranreaktoren
- Schlaufenreaktoren
- Propellenschlaufenreaktoren
- Airlift-Reaktoren
- Stahlschlaufenreaktoren
- Wirbelschichtreaktoren
- Festbettreaktoren
Bioreaktoren
Phototroph
Heterotroph
Abbildung 2: Schematische Übersicht von Anlagenvarianten verschiedener Photobioreaktoren
Inogram