TECHNIK
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Fachbeitrag
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FASSADE 4/2016
BIPV – Neue Potenziale
für eine alte Idee
Solare Stromerzeugung nicht als Add-On,
sondern als multifunktionales Bauteil – die-
se Idee ist schon alt. Doch erst mit den ge-
ringen Kosten der Photovoltaik und mo-
dernen IT-Werkzeugen von heute wird
gebäudeintegrierte Photovoltaik ein attrak-
tives Thema. Nicht mehr nur „Kunst am
Bau“, sondern Nullenergiehäuser stehen im
Fokus und da wird jede Fläche gebraucht.
Eine gemeinsame Studie
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vom Karlsruher
Institut für Technologie KIT und dem Fraun-
hofer ISE hat ermittelt, dass in Städten die
für BIPV zusätzlich ökonomisch nutzba-
re Fassadenfläche im Mittel etwa 10 % der
ökonomisch nutzbaren Dachfläche beträgt.
Generell gilt, je höher ein Gebäude ist, des-
to wichtiger wird die Fassadenfläche, um
den Energiebedarf überhaupt decken zu
können. Insbesondere bei Nullenergiehäu-
sern sind deshalb die Effizienz und die op-
timale Auslegung einschließlich elektrischer
Verschaltung wichtig. BIPV soll nicht nur
schön sein, sondern auch einen signifikan-
ten Beitrag zur Stromversorgung liefern.
Damit die Potenziale realisiert werden kön-
nen, muss von Anfang an im Gesamtsystem
gedacht und geplant werden. Wichtigstes
Markthemmnis ist die mangelhafte Integra-
tion der verschiedenen Planungsschritte im
Bauprozess. Um diese Situation zu verbes-
sern kann auch BIM – Building Information
Modeling – hilfreich sein, das immer mehr
Bedeutung gewinnt.
Kosten und Märkte
Die Kosten von multifunktionalen Gebäu-
dekomponenten mit integrierter Photovol-
taik sind höher als die Kosten von konven-
tionellen Modulen für die Aufdachmontage.
Photovoltaik-Integration in die Fassade:
Mit wenigen Mausklicks gemacht
Von Dr. Tilmann E. Kuhn
Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg entwickelt im Projekt
SolConPro zusammen mit Partnern aus Bauindustrie und IT die Voraussetzungen dafür, dass
wissenschaftliches Know-how zur solaren Energieerzeugung im Gebäude auch für die alltägliche
Arbeit im Planungsbüro verfügbar wird. Building Integrated Photovoltaics und Building
Information Modeling – BIPV und BIM – gehen dabei Hand in Hand.
Doch wenn die Gebäudehülle ohnehin neu
erstellt wird, muss man bei einer monetä-
ren Analyse nur die Kosten betrachten, die
pro m
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zusätzlich für die PV-Funktion auf-
gewendet werden müssen. Wenn man also
nicht in Euro pro Kilowatt Peak für die kom-
plette Komponente denkt, sondern in Euro
pro Quadratmeter für die Zusatzfunktiona-
lität, dann lassen sich auch BIPV-Lösungen
mit 10 Jahren Amortisationszeit realisieren.
Dazu kommt ein volkswirtschaftlicher Ef-
fekt: Wie bei Wärmeschutzverglasungen
werden BIPV-Fassadenbauteile in LKW-
Entfernung hergestellt, da die Logistik über
größere Entfernungen zu schwerfällig und
kostenintensiv wäre. Das erhöht die re-
gionale Wertschöpfung. Die Photovoltaik
boomt international stabil und führt zu wei-
ter sinkenden Preisen. Damit werden im-
mer mehr Flächen ökonomisch interessant,
die nicht optimal orientiert sind. Der Fo-
kus verschiebt sich von maximaler Rendite
bei der Stromerzeugung darauf, die Klima-
schutzziele einzuhalten. In dicht besiedelten
Gebieten wie Deutschland, das bis 2050 ei-
nen klimaneutralen Gebäudesektor haben
will, müssen deshalb vermehrt Fassaden
und andere Gebäudeteile auch zur Strom-
erzeugung genutzt werden. Frankreich war
Vorreiter, da die Einspeisevergütung dort für
gebäudeintegrierte Lösungen von Anfang
an höher war als zum Beispiel für Aufdach-
anlagen. Derzeit ist die Schweiz ein sehr
interessanter Markt in Europa. So hat bei-
spielsweise der Kanton Schwyz sehr scharfe
Gesetze für den Energieverbrauch von Neu-
bauten. Hier wird das Nullenergiehaus zur
Norm.
Fraunhofer ISE (3)
Fassadenintegrierte MWT-Siliziummodule an einem Laborgebäude des Fraunhofer ISE.