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TECHNIK

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Fachbeitrag

40

FASSADE 5/2018

Dipl.-Ing., Dipl.-

Wirt.-Ing. Thomas

Stephan ist von der

Ingenieurkammer NRW ö.b.u.v. Sachverständiger

und Mitglied im UBF – Unabhängige Berater für

Fassadentechnik e.V.

Mir ist bewusst, dass die für brüstungsho-

he Fensterflügel ergonomisch angenehme

Griffhöhe von ca. 1400 bis 1450 mm über

OKFF nicht überall umsetzbar ist, sondern

in Abhängigkeit von den individuellen Um-

ständen des einzelnen Anwendungsfalls

steht. Wie beispielsweise bauliche Gegeben-

heiten, Brüstungshöhe, Flügelkonstruktion

mit Flügelabmessungen, Flügelgewicht, La-

ge der Verglasung im Flügel, Beschlags-Aus-

stattung, einzuhaltende Vorgaben wie Min-

destabstände des Beschlag-Herstellers etc.).

Das Höhenniveau des Griffes von ca. 1400

bis 1450 mm über OKFF sollte jedoch pri-

mär angestrebt werden und nach Möglich-

keit 1650 bis 1700 mm ü. OKFF nicht über-

schreiten. Denn nach Erkenntnissen aus der

Arbeitsmedizin ist bekannt, dass die von ei-

nem Menschen aufbringbaren Bedienkräf-

te deutlich begrenzt sind, insbesondere ab-

hängig vom Geschlecht und vomAlter. Nicht

ergonomisch bzw. „zu hoch“ angeordnete

Fenstergriffe erschweren nicht nur deren Er-

reichbarkeit, sondern stellen für den Nutzer

eine deutliche Einbuße im Hinblick auf den

Bedienungskomfort dar. Vor allem deshalb,

da Betätigungen mit der Hand über Schul-

terniveau (insbesondere über Kopfniveau)

den Bewegungsspielraum einer Person stark

eingrenzen und nur erschwert durchgeführt

werden können. Maßgebend hierbei ist wie-

derum der erforderliche Betätigungsaufwand

zum Bewegen des Flügels aus der Ruhelage

(aus der Kippstellung) in die geschlossene

Flügellage.

Im Anwendungsfall des barrierefreien Bau-

ens gemäß DIN 18040-2 gelten für öffenbare

Fensterflügel einschließlich deren Griffhöhe

deutlich strengere Anforderungen

[9]

. Denn

es ist sicherzustellen, dass auch Menschen

mit motorischen Einschränkungen sowie

Rollstuhlfahrer Fensterflügel leicht betätigen

können. So darf der zulässige Kraftaufwand

zum Öffnen und Schließen von handbetä-

tigten Fensterflügeln maximal der Klasse 2

(30 N oder 5 Nm) nach DIN 13155 entspre-

chen. Die Fenstergriffe sind in einem Höhen-

bereich zwischen 85 und 105 cm über OKFF

anzuordnen. Ist diese Anforderung aus tech-

nischen Gründen nicht umsetzbar, dann ist

jeder Raum mindestens mit einem Fenster-

element mit automatisierten Öffnungs- und

Schließsystem auszustatten.

Für in Schulgebäuden anzuordnende Fens-

terelemente mit öffenbaren Fensterflügeln

sind insbesondere folgende technische Re-

gelwerke maßgeblich und bei der Planung

sowie Ausführung von Fensteranlagen zu

beachten: die DIN 58125 (Schulbau – Bau-

technische Anforderungen zur Verhütung

von Unfällen), DGUV Vorschrift 81 „Schu-

len“ (bisher GUV-V S1), Deutsche Gesetzli-

che Unfallversicherung sowie die ift-Richtli-

nie FE-16/1 (Einsatzempfehlungen für Fens-

ter in Schulbauten)

[10], [11], [12]

. In vorgenannten

Regelwerken sind mit Blick auf die bauliche

Ausführung und Bedienung von öffenba-

ren Fensterflügeln entsprechende Schutz-

ziele formuliert. So heißt es beispielsweise

in der DIN 58125 und der ift-Richtlinie FE-

16/1 gleichlautend:

„Griffe, Hebel und Schlös-

ser müssen so beschaffen und angeordnet sein,

dass durch bestimmungsgemäßen Gebrauch

Gefährdungen für Schülerinnen und Schüler

vermieden werden.“. Und weiter: „Die sichere

Beschaffenheit und Anordnung von Beschlä-

gen wird erreicht, wenn z. B. – Griffe und Hebel

von einem sicheren Standort aus betätigt wer-

den können.“.

Es wurde aufgezeigt, dass bei handbetätig-

ten Fensterflügeln, insbesondere bei Dreh-

kippflügeln, die Höhenlage des Fenstergriffes

über OKFF einen entscheidenden Einfluss

auf die leichte und somit nutzergerechte Flü-

gelbedienung hat. An dieser Stelle wird die

dringliche Empfehlung gegeben, die Höhen-

lage von Fenstergriffen nicht „dem Zufall“ zu

überlassen und nicht „grundsätzlich mittig“

(gemäß dem Motto: „Das lösen wir seit Jah-

ren immer so!“) auszuführen. Bereits in der

Planungsphase von Neubauten, Umbauten

und/oder Fenstersanierungen sollten die zu

erwartenden Flügel-Bedienkräfte entspre-

chend berücksichtigt und diese sowie ergo-

nomisch günstige Griff-Höhenlagen, in Ab-

hängigkeit des zu berücksichtigenden Nut-

zerprofils, mit dem Auftraggeber abgestimmt

und festgelegt werden. Auch ausführende

Fensterbauunternehmen sollten die wichti-

gen Themen der zulässigen Bedienkräfte und

der nutzergerechten Griff-Höhenlagen ken-

nen, hinterfragen sowie insbesondere bei Di-

rektbeauftragung vor Ausführung mit dem

Auftraggeber abstimmen und festlegen.

Literatur

[1] DIN 18267:2015-02 Fenstergriffe - Rast-

bare, verriegelbare und verschließbare

Fenstergriffe

[2] DIN 33402-2:2005-12 Ergonomie - Kör-

permaße des Menschen - Teil 2: Werte

[3] Publikationsreihe „Raumpilot“ besteht

aus den Bänden „Raumpilot Grundla-

gen“, „Raumpilot Arbeiten“, Raumpilot

Lernen“ und „Raumpilot Wohnen“, 2012,

Herausgeber Wüstenrot Stiftung, Ludwigs-

burg, und Karl Krämer Verlag Stuttgart +

Zürich

[4] DIN 18101:2014-08 Türen - Türen für den

Wohnungsbau - Türblattgrößen, Bandsitz

und Schlosssitz - Gegenseitige Abhängig-

keit der Maße

[5] DIN EN 13115:2001-11 Fenster - Klassifi-

zierung mechanischer Eigenschaften - Ver-

tikallasten, Verwindung und Bedienkräfte

[6] DIN EN 13115:2018-04 - Entwurf, Fenster

- Klassifizierung mechanischer Eigenschaf-

ten - Vertikallasten, Verwindung und Bedi-

enkräfte

[7] DIN 18055:2014-11 Kriterien für die An-

wendung von Fenstern und Außentüren

nach DIN EN 14351-1

[8] ATV DIN 18357:2016-09 VOB Verdin-

gungsordnung für Bauleistungen - Teil C:

Allgemeine Technische Vertragsbedingun-

gen für Bauleistungen (ATV) - Beschlagar-

beiten

[9] DIN 18040-2:2011-09, Barrierefreies

Bauen - Planungsgrundlagen - Teil 2:

Wohnungen

[10] DIN 58125:2002-07 Schulbau - Bautech-

nische Anforderungen zur Verhütung von

Unfällen

[11] DGUV Vorschrift 81 „Schulen“ (bisher

GUV-V S1), Deutsche Gesetzliche Unfall-

versicherung

[12] ift-Richtlinie FE-16/1 (Oktober 2015) Ein-

satzempfehlungen für Fenster in Schul-

bauten; Anforderungen, Planungsgrundla-

gen, Konstruktion und Ausführung

1/2

H1 ca. 450mm

1/2

ca. 55

G

Fl

/ F

G

F

Hub

Flügelhöhe ca. 1.400mm

ca. 7,9°

Freigest lltes Kräftemodell

Erforderlich zum Schließen eines gekippten Fensterflügels aus der Ruhestellung in die gesc

Flügel

DK-Ausführung, Systembreite ca. 67,5cm, -höhe ca. 140cm

Verglasung 3fach-Verglasung (Aufbau von außen: 8/4/6)

a [mm]

Angenommene Ausstellweite des Flügels ca. 125mm

G

FL

/F

G

[kg] Gewicht des Fensterflügels / Gewichtskraft

Fh [mm]

Höhenmaß des Fensterflügels (1.400mm)

H1 [mm]

Höhenmaß Achse Ecklager / Fenstergriff (ca. 450mm)

F

Hub

[mm]

Hubkraft/Handkraft zum Schließen des Fensterflügels aus der Kippstellung

F

G

[N] GFl * 9,81m/s2

F

G

[N] ca. 460N

Abb. 4: Freigestelltes Kräftemodell an einem

gekippten Fensterflügel.