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glas+rahmen
04.19
Titel
titel glasveredlung
„obwohl glas ein
vergleichsweise alter
Baustoff ist, ist im Bereich der Forschung
noch lange kein Ende in Sicht“, sagt Profes-
sor Jens Schneider vom Institut für Statik
und Konstruktion (ISM+D) der TU Darm-
stadt. Ein Trend liegt dabei laut Schneider
in der Herstellung und Anwendung von im-
mer dünneren Gläsern. Von Dünnglas spricht
man, wenn die Dicke des Glases weniger als
zwei Millimeter beträgt. Moderne Dünnglä-
ser sind etwa bis zu 25 Mikrometer dick – und
damit dünner als ein menschliches Haar oder
eine Rasierklinge. „Dünnglas weist im Ver-
gleich zu konventionellem Glas eine gerin-
gere Steifigkeit auf, kann dadurch aber kalt
gebogen und verformt werden – eine Eigen-
schaft, die man vom transparenten Baustoff
Glas bisher nicht gekannt hat“, so Schneider.
Um es gegen Bruch widerstandsfähiger
zu machen, muss das Material vorgespannt
werden. So entsteht eine extrem dünne und
gleichzeitig extrem feste Glasfolie, wie man
sie beispielsweise von Mobiltelefonen kennt.
Neben der besonderen Härte des Glases und
dem hohenWiderstand gegen Verkratzen be-
steht ein weiterer Vorteil in der Beständigkeit
gegen Umwelteinflüsse, denn im Gegensatz
zu Kunststoffen vergilbt und altert es auch
nicht. „Hier setzt die Forschung amGCC an“,
erklärt Schneider. „Unser Team sucht nach
neuen Anwendungen, die sich mit Dünn-
glas realisieren und dauerhaft sowie funk-
tionssicher im Bauwesen etablieren lassen.
Das könnten beispielsweise in sich bewegli-
che Fenster sein, dämmende und gleichzei-
tig transparente Fassaden oder pneumatisch
gestützte Glaskissen.“
Begleitung des Trends zu
grösseren Glaseinheiten
Auch sehr große und dicke Gläser sind Ge-
genstand der Forschung am GCC. Großfor-
matige Gläser können heute als Fassaden-
elemente Abmessungen von bis zu 20 Me-
tern Höhe annehmen. Ein weiterer Entwick-
lungsweg der Glasforschung sind Dickgläser,
Neue Gläser: dünn, dick, groß, gedruckt
Am neuen Glass Competence Center (GCC) der TU Darmstadt arbeiten Wissenschaftler
an aktuellen Forschungsthemen im Bereich Glastechnik, die derzeit in vier Rich-
tungen weisen: Neue Gläser werden dünner, grösser, dicker oder 3D-gedruckt.
Auf der glasstec 2018 präsentierte die TU Darmstadt
dieses „Rolling Window“. Dabei handelt es sich um
ein rahmenloses Fensterlement aus Dünnglas, das
sich über eine innen montierte Mechanik durch
Biegung des Glases nach außen öffnet. So lassen
sich flache und filigrane vorgesetzte Fassaden mit
hohem Lichteinfall schaffen. Die Scheiben können
neben der üblichen Funktion als Fenster durch Be-
schichtung auch als variabler Sonnen- oder Sicht-
schutz und als Träger für Photovoltaik oder Solar-
thermie dienen.
Ziel von dicken und
großen Gläsern ist
es, eine möglichst
transparente oder
transluzente und
„kristalline“ Ge-
bäudehülle zu
schaffen. Mit Glas-
steinen wie diesen
auf der glasstec
gezeigten Exmpla-
ren, wurde in Ams-
terdam bereits eine
komplette Fassade
realisiert.
Fotos: © Vössing
beispielsweise gläserne „Backsteine“. Ziel von
sowohl dicken als auch großen Gläsern ist
es, eine möglichst transparente oder trans-
luzente und „kristalline“ Gebäudehülle zu
schaffen. Prominentes Beispiel für den Ein-
satz von großformatigen und beweglichen
Glas-Fassadenelementen mit je 16 Metern
Höhe ist die Apple-Firmenzentrale in Cup-
ertino (USA), deren Bau das GCC beratend
begleitet hat. „Das Streben nach immer grö-
ßeren Formaten wird lediglich durch die Pro-
duktions- und Transportmöglichkeiten ein-
geschränkt“, erläutert Jens Schneider. Es be-
dürfe daher Strategien zur Bemessung und
Sicherung von großen Fassadenelementen
sowie Reparaturmöglichkeiten im Schadens-
fall. Auch dies sind Bereiche, in denen das
GCC aktiv ist.
AmGCC laufen außerdem Forschungsak-
tivitäten, um die Anschlusspunkte der Glas-
elemente mit dem Bauwerk und untereinan-
der zu untersuchen – beispielsweise mit neu-
artigen und transparenten Silikonklebstof-
fen. Des Weiteren gibt es erste Versuche zur
stoffschlüssigen Verbindung von Glasbautei-
len, auch Additive Fertigung (AF) oder um-
gangssprachlich 3D-Drucken genannt. Durch
den schichtweisen Materialauftrag entsteht
auf Basis eines digitalen Modells ein addi-