Gebaeudehuelle 9-2020
63 gebäudehülle 09.20 betrieb+praxis der autor des Auftraggebers zehn Jahre betragen. Im Rahmen der Abnahme der vomAuftragnehmer ausgeführten Leistun- gen enthält das Abnahmeprotokoll einen Vermerk dahin- gehend, dass die Gewährleistung des Auftragnehmers nach fünf Jahren endet. Nach der Abnahme behauptet der Auftraggeber, die vom Auftragnehmer ausgeführten Arbeiten würden gravierende Dichtungsmängel aufwei- sen. Nach dem Ablauf von fünf Jahren, aber vor Ablauf von zehn Jahren, fordert der Auftraggeber schließlich vom Auftragnehmer wegen erheblicher Abdichtungs- mängel mit gerichtlicher Hilfe Schadensersatz in Höhe von 2.996.244,44 Euro nebst Zinsen. Der Auftragneh- mer verteidigt sich mit demHinweis auf eine Verjährung etwaiger Ansprüche des Auftraggebers (OLG Stuttgart, Urteil vom 17.10.2017, Az. 10U55/17; BGH Beschluss vom 25.03.2020, Az. VIIZR247/17). entscheidung des oberlandesgerichts stuttgart Die Klage des Auftraggebers auf Schadensersatz ist er- folgreich. Das Oberlandesgericht Stuttgart folgt der Ver- jährungsargumentation des Auftragnehmers nicht. Im Rahmen der Urteilsbegründung befasst sich das Ge- richt mit zwei für die Baupraxis wichtigen Themen, die im Rahmen des Tagesgeschäftes oftmals aus dem Blick geraten. Zunächst stellt das Oberlandesgericht fest, dass die im Vertrag vorgesehene Gewährleistungsfrist für Dich- tungsarbeiten von zehn Jahren wirksam ist. Durch eine individuelle Vereinbarung der Parteien könne – so das Oberlandesgericht – die gesetzliche Verjährung ohne- hin bis zur Grenze von 30 Jahren(!) verlängert werden. Eine wirksame Verlängerung der Verjährungsfrist auf zehn Jahre in Allgemeinen Geschäftsbedingungen kom- me bei Dichtungsarbeiten durchaus in Betracht. Das Ge- richt weist auf ähnlich gelagerte Entscheidungen betref- fend Flachdacharbeiten und Arbeiten an einer Glasfas- sade hin; hier wurde vom Bundesgerichtshof bzw. vom Oberlandesgericht Köln festgestellt, dass es ein erhöhtes Bedürfnis des Auftraggebers an einer ausreichenden Be- messung der Verjährungsfrist gebe. Dies deshalb, weil bei Flachdacharbeiten oder bei Glasfassaden Probleme hin- sichtlich der Dichtigkeit erfahrungsgemäß erst später als fünf Jahre nach der Abnahme sichtbar würden. Insofern könne die Verjährungsfrist für Abdichtungsmängel so- wohl im Rahmen einer individuellen Vereinbarung als auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf zehn Jahre wirksam verlängert werden. Im Übrigen sei die vertraglich festgelegte Dauer der Verjährungsfrist für Dichtungsarbeiten durch den Ver- merk imAbnahmeprotokoll nicht von zehn auf fünf Jahre verkürzt worden. Aus Sicht des Oberlandesgerichts Stutt- gart sei dem Abnahmeprotokoll ein die Verjährungsfrist für Dichtungsarbeiten von zehn auf fünf Jahre verkürzen- der Inhalt, nach eingehender Auslegung des Protokoll- inhalts, nicht zu entnehmen (OLG Stuttgart, Urteil vom 17.10.2017, Az. 10 U 55/17; BGH, Beschluss vom 25.03.2020, Az. VII ZR 247/17). für die praxis Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart zeigt, dass Vertragsdokumente vor Unterzeichnung des Bau- vertrages geordnet zu studieren sind und dass die Bau- beteiligten das Abnahmeprotokoll vor Unterzeichnung daraufhin durchzusehen haben, ob sich Vermerke fin- den, die vom Bauvertrag abweichen. In vielen Bauverträgen – auch im Fassadenbau – fin- den sich im Bauvertrag oder in ergänzenden Regelwer- ken Gewährleistungsfristen von vier bzw. fünf Jahren, beginnend mit dem Abnahmezeitpunkt. Mit Blick auf die Entscheidung aus Stuttgart sollte insbesondere der Bauauftragnehmer beachten, dass bei Dichtungsarbei- ten vertragsrechtlich die Möglichkeit besteht, die Ge- währleistungsfristen des Gesetzes sowie gegebenenfalls der VOB/B erheblich zu verlängern (10/30 Jahre). Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart kann eine Gewährleistungsfrist von zehn Jahren in Allgemei- nen Geschäftsbedingungen wirksam vereinbart werden. Gerade Allgemeine Geschäftsbedingungen des Auftrag- gebers werden im Rahmen des Vertragsabschlusses vom Auftragnehmer oftmals nicht mit der gebotenen Sorg- falt durchgesehen. Daneben werden die Baubeteiligten – auch hier insbe- sondere die Auftragnehmerseite – daran erinnert, dass die Abnahme beispielsweise einer Fassadenbauleistung längst kein ausschließlich technischer Vorgang mehr ist. Mittlerweile ist mehrfach entschieden, dass im Rahmen des Abnahmeprotokolls durch entsprechende Vermerke der Bauvertrag abgeändert werden kann. Die einschlägi- gen Gerichtsentscheidungen betreffen insbesondere die Verlängerung von Gewährleistungsfristen. Stellt der Auf- tragnehmer also fest, dass imAbnahmeprotokoll von der Auftraggeberseite eine vomBauvertrag abweichende Ver- jährungsfrist notiert ist, sollte er die Unstimmigkeit in je- dem Fall vor Unterzeichnung aufklären. Rechtsanwalt Jörg Teller ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in der Frankfurter Kanzlei SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (www.smng.de) . Foto: © SMNG Mehr Informationen über Rechtsthemen finden Sie auch auf www.gebäudehülle.net
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