Gebäudehülle 2/2020
31 gebäudehülle 02.20 fassade nen nach außen zu scheinen, man nimmt also erst dann das wahr, was sich im Gebäudein- neren befindet. Schöne Beispiele dafür sind das Fritz-Lipmann-Institut in Jena, das Mi- Costa Hotel in der Türkei oder das SOS-Kin- derdorf in Berlin. gebäudehülle: Wie sehen Sie die Zukunft für Textilfassaden? serode: In Zukunft werden Gebäude mit Textilfassaden Luft reinigen, Energie mit in- tegrierter Photovoltaik oder Solarthermie produzieren oder als riesiger Medienscreen eingesetzt. Aktuell sehen wir Potenzial in ei- nem neuen Trend, dass sich Bürogebäude von der Optik ständig zu wandeln haben. Textil- fassaden ermöglichen diesen Trend. Es ist wie ein T-Shirt für Gebäude. Wenn man das De- sign aufgrund der Farbe oder einer anderen Struktur irgendwann austauschen möchte, geht das problemlos. Besonders interessant daran ist, dass die Gewebe in Zukunft von der Funktion und Gestaltung vollkommen indi- viduell designt werden können. Gleichzeitig sorgen die Fassaden-Updates wiederum da- für, Gebäude an die aktuellen und zukünf- tigen Herausforderungen anzupassen, vor die uns der Klimaschutz und die Klimaan- passung sowie Umweltschutz, Gesundheits- schutz und Nachhaltigkeit stellen. gebäudehülle: An welchen Themen for- schen Sie aktuell noch? serode: Wir forschen ebenfalls zumThema Luftsäuberung, konkret an einer Anti-Smog- Fassade. Wir haben zusammen mit einem In- dustriepartner aus NRW eine besondere Be- schichtung für die Textilien entwickelt, die photokatalytisch wirkt. Bei Sonnenbestrah- lung bindet die Beschichtung Stickoxide an der Fassade, bis diese Partikel durch Regen abgewaschen werden. Zusammen mit Indus- triepartnern realisieren wir gerade eine ers- te Demofassade an einem Bürogebäude, um unter Realbedingungen zu testen. In einem anderen Projektbereich beschäftigen wir uns mit der Energiegewinnung innerhalb der Fas- sade durch Photovoltaik (PV). Wir testen da- für mit kleinen PV-Kugeln aus Silicium, die wir direkt in die Fassadenmembran integrie- ren. Die geometrische Form der Kugel führt dazu, dass der Einfallswinkel der Sonne zur Solarzelle immer optimal ist. Zudem nehmen sie auch Lichtreflexionen durch die dahinter- liegende Fassade auf. Ganz besonders stolz bin ich aber darauf, dass wir gerade die erste Textilfassade entwickeln, die zu 98 Prozent aus recycelten Kunststoffflaschen besteht. Dazu testen wir noch mit verschiedenen Re- zyklaten. Technisch ist es somit möglich, eine Textilfassade aus Plastikmüll zu realisieren, die jedoch die gleichen Qualitätsanforderun- gen erfüllt wie ein konventionelles Produkt. gebäudehülle: Auch Textilbeton baut auf technischen Textilien auf. Wie kann man sich Beton aus Textilien vorstellen, und was sind die Vorteile von Textilbeton gegenüber Stahlbeton? koch: Marode Brücken oder Parkhäuser, in denen der Stahl offen liegt und korrodiert, sieht man oft. Denn herkömmlicher Stahl- beton ist nicht dauerbeständig, sodass meist nach 30 Jahren eine Sanierung notwendig wird. Der große Vorteil von Textilbeton ist deswegen die Korrosionsbeständigkeit der textilen Bewehrung. Das Gelege von Textil- beton besteht aus einer Glas- oder Carbon- faser. Carbon ist sechs Mal so zugfest wie Stahl und wiegt nur ein Viertel davon – und ermöglich eine Lebensdauer von Textilbeton von mindestens 80 Jahren und mehr. Zudem ist es möglich, mit Textilbeton extrem dünn- wandig zu bauen. Stahl wird aufgrund seiner unschönen Nebenwirkungen (Korrosion) oft dick mit Beton eingepackt, man kommt unter acht bis zehn Zentimeter Wandstärke nicht aus. Bei Textilbeton sind es nur ein bis drei Zentimeter. Textilien sind auch viel formba- rer. Das bietet für die Architektur auch mehr Spielraum hinsichtlich des Designs. gebäudehülle: Wieso handelt es sich hier- bei ebenfalls um ein Produkt mit Zukunft unter Betrachtung von Umweltaspekten? koch: Textilbeton ist ganz klar aufgrund seines enormen CO2-Einsparpotenzials ein Produkt der Zukunft. Denn zur Betonher- stellung gehört Zement. Die Industrie verur- sacht bei der energieintensiven Zement-Her- stellung sehr viel CO2. Da wir bei den Kon struktionen mit Textilbeton 70 bis 80 Pro- zent Beton einsparen können, bedeutet das gleichzeitig auch 70 bis 80 Prozent weniger CO2. Das ist schon enorm. Ein Beispiel ist unsere Fassade im Institut für Textiltechnik, für die wir vor ein paar Jah- ren den Umweltpreis „Best of the best LIFE Environment Project“ von der EU bekom- men haben. Das Gebäude besteht beidseitig aus nur 1,5 Zentimeter Textilbeton. Auch bei der Gebäudesanierung kann Textilbeton ei- ne wichtige Rolle spielen. Ein Beispiel ist der Aachener Dom, der 2016 mit Textilbeton sa- niert wurde. Hier wurde Textilbeton mit Car- bonfasern genutzt, weil einMaterial mit einer hohen Haltbarkeit gesucht wurde und ledig- lich eine dünne, aber tragfähige Konstrukti- on verlangt war. info Das Interview mit Dr. Andreas Koch und Jan Serode hat seinen Ursprung in einem Gespräch der Forscher mit der EnergieAgentur. NRW und ist im Umfeld weiterer aktueller Forschungsbeiträge auch auf der Website der Agentur unter www.energieagentur.nrw zu finden. Jan Serode (l.) und Dr. Andreas Koch forschen an der Architekturfakul- tät der rheinisch-west- fälischen technischen Hochschule Aachen (RWTA) an den Möglich- keiten des Einsatzes von Textilien in den verschiedenen Berei- chen des Bauwesens. Foto: © Jan Serode
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