Fassade 6/2019
TECHNIK | Fachbeitrag 22 FASSADE 6/2019 Neue Fassadenkonzepte für die leise Stadt Von Prof. Dr.-Ing. Holger Techen und Dr.-Ing. Jochen Krimm Kann die schallharte Stadt von heute durch den gezielten Einsatz von akustisch wirksamen Fassaden leiser werden? Die Silhouetten der Ballungsräume werden charakterisiert durch eine hohe Dichte von Hochhausfassaden aus Glas, Metall oder Stein. Diese Hochhausdichte steht auf der einen Seite für eine prosperierende Wirtschaftskraft. Auf der anderen Seite sind diese schallharten Fassadenflächen für zunehmende Lärmpegel im Stadtraum verantwortlich. In den meisten städtebaulichen Situationen sind Straßenverkehr, Industrie/Baustellen als innerstäd- tische Lärmquellen verstärkt wahrnehmbar. Neben dem Direktschall addiert sich in direkter Umgebung zum Gebäude der an der Fassadenoberfläche reflektierende Schall. Dies führt abhängig von der städtebaulichen Situation zu einer spürbaren Erhöhung von 2 – 4 dB(A). Der Direktschall und der an der Fassaden oberfläche reflektierende Schall addieren sich im Stadtraum. Über diesen Effekt der Pegelerhöhung, wie in Abbildung 2 schema- tisch dargestellt, wird an der Frankfurt Uni- versity of Applied Sciences schon länger ge- forscht. Da über die Planungstools der Archi- tektur diese Lärmeinwirkungen maßgeblich beeinflusst werden können, wird im Rahmen des Architekturstudiums dieser Aspekt in Se- minaren als Symbiose aus Lehre und For- schung vermittelt. Durch die Reflektion eines direkten Signals einer Lärmquelle an einer schallharten Ober- fläche erhöht sich am Ort des Empfängers der gemessene Pegel um bis zu 3 dB. Die- se Pegelerhöhung wird durch die Addierung eintreffenden Direktschalls und des indirek- ten Schalls erzeugt. Durch eine besondere Anordnung mehrerer schallharter Oberflä- chen lässt sich dieser Effekt noch verstärken oder eben auch reduzieren. Die Anordnung mehrerer schallharter Oberflächen entspricht den tatsächlich vorhandenen Situationen im urbanen Kontext. DieVerdichtungsprozesse in den stetig wach- senden Metropolen stellen die Architektur vor Aufgaben, die sie mit Hilfe ihrer eigenen Werkzeuge nicht lösen kann. Für städtebau- liche Nachverdichtungen werden oft Flächen ehemaliger Industrie- und Gewerbenutzun- gen genutzt. Diese sind mit erhöhten Lärm emissionen der hochfrequentierten Infra- struktureinrichtungen behaftet. Eine typische Situation für derartige Nachverdichtungs- projekte ist die „Bürostadt Niederrad“ in Frankfurt amMain. Abbildung 3 zeigt die La- ge des Planungsgebietes im Kontext der um- gebenden Lärmquellen. Im Laufe der nächs- ten Jahre soll das Gewerbegebiet in ein Gebiet mit überwiegender Wohnnutzung überführt werden. Die Verkehrslärmquellen aus Stra- ße, Schiene und Flug wirken aus verschiedenen Richtungen auf das Gebiet ein. In solchen Gebieten ist die Archi- tektur mit ihren bisher bekannten Werkzeugen des Lärmschutzes am Ende. So ist zum Beispiel das Prin- zip der Anordnung der Schlafräu- me auf der ruhigen Seite eines Ge- bäudes nur möglich, wenn es ei- ne ruhige Seite gibt. Oft kommt als einzige Möglichkeit der Einsatz von hoch schallgedämmten Fassaden und Fensterkonstruktionen in Frage. Schalldichte Konstruktionen verhindern aber in der Regel den direkten Kontakt zumAußenbereich. Möglichkeiten der Bebauung Die Beeinflussung des Lärmeintrags im di- rekt angrenzenden Außenraum des Gebäu- des kann durch Fassaden in verschiedenster Art gesteuert werden, die gemäß dem Pla- nungsmaßstab bestimmten Planungsberei- chen zugeordnet werden. Im übergeordneten städtebaulichen Maßstab ist eine Steuerung des Lärmeintrags über die Gebäudestellung und Lage der reflektierenden und beugen- den Baukörper zueinander möglich. Im Ge- bäudemaßstab kann über Geometrie und Material der Fassadenflächen die akustische Situation rund um das Gebäude beeinflusst werden. Dies lässt sich zum Beispiel darstel- len durchVor- und Rücksprünge der Gebäu- dehülle oder auch durch eine Anordnung von Balkonen nach akustischen Gesichts- Abbildung 1: Verdichtung schallharter Oberflächen in der Frankfurter Innenstadt. Abbildung 2: Akustische Reflektion. Fotos und Grafiken (13): © Jochen Krimm
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